Die katholische St. Rupert & St. Hildegard in Bingen-Bingerbrück am Rhein-Nahe-Eck ist eine Lichterkirche, wo Besucher mit Touchscreen selbst Andachten mit passender Musik und Beleuchtung auswählen können. Die Zeiten voller Sonntagsgottesdienste sind vielerorts vorbei. Der Bedarf nach Besinnung und geistlichen Impulsen aber bleibt. In offenen Lichterkirchen können Besucher selbst Andachten und Lieder auswählen – passend zur Gefühlslage.

Lichterkirchen können eigene Projekte umgesetzt. So widmet sich die St. Antonius-Kirche im sauerländischen Medebach-Oberschledorn dem Thema Kunst. In Ulf Webers aktueller Gemeinde im thüringischen Schmalkalden setzten Jugendliche ein Hörspiel über Luthers Gewittererlebnis um – inklusive Lichtblitzen und Nebelmaschine.

Gemeinden können ihre Inhalte dann untereinander austauschen.

Eines kann und will das multimediale Kirchensystem aber ausdrücklich nicht: einen Gottesdienst ersetzen. „In einem Gottesdienst gibt es einen Pfarrer, es wird Segen zugesprochen, man singt miteinander Lieder“, sagt Ulf Weber. Das multimediale Kirchensystem sei eher mit geistlichen Podcasts oder Andachten im Rundfunk vergleichbar. Das Besondere bei „MediaKi“ sei der Ort, sagt der Pfarrer. „Es ist schon etwas anderes, ob ich eine sakrale Atmosphäre habe, oder ob ich im Wohnzimmer sitze, die Füße hochlege und Bibel TV gucke.“ Und vielleicht, ergänzt Lars Weber, führe ein Besuch in einer Lichterkirche manche Menschen auch wieder in den Gottesdienst.

Der Altarraum der Kirche St. Rupert & St. Hildegard ist in blaues Licht getaucht. Die Lichtspots auf der Wand im Chorraum lenken den Blick auf das große Kreuz in der Mitte. „Es war ein hammerharter Alptraum“, tönt es dazu aus den Lautsprechern. In Rap-Form wird die Geschichte vom barmherzigen Samariter erzählt. Die katholische Kirche St. Rupert & St. Hildegard in Bingerbrück am Rhein-Nahe-Eck ist seit September 2020 eine Lichterkirche. Besucher können an einem Terminal selbst Andachten mit passender Musik und Beleuchtung auswählen. Für Kinder und Jugendliche gibt es Geschichten und Lieder wie den Bibel-Rap.

„Die Kirche muss neue Wege gehen“, ist Reimund Kerner überzeugt, der Vorsitzende des Verwaltungsrates. Die katholische Gemeinde in Bingerbrück spürt wie Kirchen vielerorts die Auswirkungen von Pfarrermangel und immer weniger Gottesdienstbesuchern. Sonntagsmessen finden nur noch alle zwei Wochen statt. Dazwischen war die Kirche abgeschlossen – bis im September das Multimedia-System „MediaKi“ installiert wurde. Seitdem steht St. Rupert & St. Hildegard täglich zwischen 10 und 16 Uhr Besuchern offen, die sich einen persönlichen Zuspruch wünschen oder bei Musik und Bibelversen zur Ruhe kommen wollen.

Vertrieben wird „MediaKi“ von dem Wirtschaftswissenschaftler Lars Weber. Er entwickelte das patentierte System mit seinem Vater, dem evangelischen Pfarrer Ulf Weber, als dessen damalige Kirche im hessischen Willingen-Rattlar renoviert wurde. Die Idee: „Eine offene Kirche, in der Besucher nicht nur Kerzen entzünden können, sondern auch einen Zuspruch für ihre momentane Emotion finden“, berichtet Ulf Weber.

Das System ist simpel zu bedienen: Auf einem Terminal mit Touchscreen wählen Besucher zwischen Kurz-Andachten, Psalmen und Liedern aus. Der Altarraum wird dazu passend mal gelb, mal rot oder blau beleuchtet. Am beliebtesten seien die etwa 15-minütigen Andachten zu Gefühlen wie Freude, Trauer und Zorn, die mit Musik untermalt sind, berichtet Ulf Weber.

2014 wurde „MediaKi“ in Rattlar installiert. Mit der Zeit wandten sich andere Gemeinden an Weber, und mittlerweile gibt es acht Lichterkirchen in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Thüringen und nun auch in Rheinland-Pfalz. Die Kosten wurden zum Teil vom Leader-Programm der EU übernommen. Die meisten Lichterkirchen liegen wie St. Rupert & St. Hildegard im ländlichen Raum, wie Lars Weber berichtet. „Kirchen, die geschlossen werden sollten, konnten sich mit dem Kirchensystem und einem eigenen Konzept über einen großartigen Zuspruch freuen.“

Reimund Kerner aus dem Bingerbrücker Verwaltungsrat ist überzeugt: Auch wenn die Zeiten voller Sonntagsgottesdienste vorbei seien, sei der Bedarf an Spiritualität und geistlichen Impulsen weiterhin da. Das zeige auch die Resonanz auf „MediaKi“ in St. Rupert & St. Hildegard. Das Gästebuch der Kirche ist voll des Lobs. „Eine schöne Unterbrechung unserer Radtour“, lautet ein Eintrag. Eine andere Besucherin schreibt: „Es tut gut, hier zu entspannen und Kraft zu schöpfen.“